Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat Wettbewerbsrichtlinien verfasst, die unter anderem den Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken schützen sollen. Mit der privaten Krankenversicherung befasst sich ganz speziell der Abschnitt B. In II. Behandlung von Freigabeanträgen wird in den Nummern 68 bis 70 der Wettbewerbsrichtlinien exakt beschrieben, unter welchen Voraussetzungen der Vertrag freigegeben werden muss und welche besonderen Umstände dabei zu berücksichtigen sind.
Nummer 68 – Verpflichtung zur Freigabe eines PKV-Vertrages
Die Verpflichtung zur Freigabe eines PKV-Vertrages besteht immer dann, wenn…
- der Krankenversicherungsvertrag beim ersten (alten) Anbieter mindestens drei Jahre bestanden hat. In diesem Fall muss der zweite (neue) Versicherer den Vertrag freigeben, ohne dass es einer Prüfung der Sach- und Rechtslage verlangt. Allein die schriftlich abgegebene Erklärung des Versicherten reicht aus, dass er den früheren (alten) Vertrag fortsetzen möchte.
- Bestand der erste (alte) Vertrag hingegen noch keine drei Jahre, dann muss der Vertrag nur freigegeben werden, wenn der Abschluss des zweiten (neuen) Vertrags durch unlauteres Verhalten im Sinne der Wettbewerbsrichtlinien zustande kam. Dabei kann es sich um eine Verletzung einer von zwei Bestimmungen (Nr. 65 der Wettbewerbsrichtlinien) handeln:
- Fehlende Aufklärung des zweiten Krankenversicherers über die mit dem Wechsel verbundenen Nachteile Laut den Wettbewerbsrichtlinien ist der Versicherer verpflichtet, den Kunden auf mögliche Nachteile hinzuweisen. Hinweis: Prüfen Sie hierzu die Beratungsdokumentation nach § 61 VVG die der Vermittler der neuen PKV angefertigt hat.
- Verschweigen anzeigepflichtiger Umstände seitens des Vermittlers Sollte der Vermittler beim Ausfüllen des Antrags die ihm mitgeteilten Vorerkrankungen und Informationen zu Vorversicherungen nicht vollständig angeben, dann handelt er unlauter. Im Zuge des Freigabeverfahrens muss der Verstoß ersichtlich sein.
Zwei maßgebliche Zeiträume für das Freigabeverfahren:
– Entweder der gekündigte (alte) Vertrag bestand drei oder mehr Jahre, dann reicht die schriftliche Erklärung, dass man seinen Vertrag fortsetzen will.
– Oder der (alte) Vertrag bestand weniger als drei Jahre, dann ist die Freigabe des PKV-Vertrages nur möglich, wenn ein Verstoß gegen die Wettbewerbsrichtlinien nachweisbar ist, also wenn beispielsweise beim Abschluss des zweiten Vertrags Nachteile einer Kündigung verschwiegen wurden.
Hinweis: Prüfen Sie hierzu die Beratungsdokumentation nach § 61 VVG, die der Vermittler angefertigt hat.
Führen der Freigabeverhandlung
Das Führen der Freigabeverhandlung obliegt dem Krankenversicherer, bei dem der vorige (alte) Vertrag abgeschlossen wurde, den der Versicherte trotz Kündigung jetzt beim alten Versicherer weiter fortsetzen möchte.
Zwei Voraussetzungen müssen dabei erfüllt sein:
- Der Kunde stellt bei seinem (alten) Vorversicherer den Antrag auf Fortsetzung seines bereits gekündigten Vertrags und beauftragt ihn gleichzeitig die Freigabeverhandlung mit dem zweiten (neuen) Versicherer zu führen.
- Dem (alten) Vorversicherer muss eine schriftliche Kündigung seiner „alten Police“ vorliegen. Das bedeutet, der Kunde muss gekündigt haben, um bei einem anderen Anbieter eine gleichartige Versicherung abzuschließen, andernfalls ist kein Raum für die Einleitung eines PKV-Freigabeverfahrens, auch dann nicht, wenn der Abschluss bereits erfolgt ist.
Nummer 69 – Umfang der Freigabe
In Nummer 69 ist der Umfang des Freigabeverfahrens beschrieben. Es bezieht sich sowohl auf Krankheitskosten-Vollversicherungen, als auch auf Teilversicherungen, sofern sie gleichartig sind, wobei hier die Krankenhaustagegeldversicherung gegenüber einer Krankenhauskostenversicherung ebenfalls als gleichartig zu betrachten ist.
Nummer 70 – Verfahren der Freigabe
Hier geht es um das Verfahren an sich. Zu beachten ist, dass der Freigabeantrag innerhalb von vier Monaten nach Kündigungseingang dem zweiten Krankenversicherer zugegangen sein muss.
Der zweite (neue) Versicherer ist nicht berechtigt den Kunden zur Rücknahme des Freigabebegehrens zu veranlassen. Vielmehr muss er nach Zugang des Freigabeantrages innerhalb eines Monats seine getroffene Entscheidung bekannt geben. Nach Ablauf der Monatsfrist kann er keine Einwände mehr vorbringen und muss dem Freigabeantrag entsprechen.
Sind die vorliegenden Voraussetzungen zur Freigabe erfüllt, dann wird der neue Vertrag rückwirkend ab Beginn aufgehoben und alle Beiträge ohne Abzug an den Kunden zurückgezahlt. Etwaig bereits eingeleitete Zwangsmaßnahmen sind sofort nach Zugang des Freigabeantrags zu stoppen und bis zum Abschluss des Verfahrens auszusetzen.
Sollte die Prüfung ergeben, dass der zweite – neue – Versicherer ein begründetes Recht hat, die Freigabe des PKV-Vertrages zu verweigern, dann muss der (alte) Vorversicherer die zuvor ausgesprochene Kündigung gegen sich gelten lassen.
Wenn dem Freigabebegehren erst zu einem Zeitpunkt stattgegeben wird, nachdem der Vertrag mit dem Vorversicherer infolge der Kündigung bereits beendet ist, dann ist dieser verpflichtet, den bisherigen Vertrag in seinem Umfang wiederherzustellen.
Vier-Monatsfrist beachten:
Die viermonatige Frist zur Einleitung eines Freigabeverfahrens ist unbedingt zu beachten, denn sollte der Antrag auf Freigabe verspätet eingehen, dann ist der zweite – neue – Versicherer berechtigt, ihn zurückzuweisen, ohne dass auf den Inhalt des Freigabeantrags eingegangen werden muss.
Die Vier-Monatsfrist beginnt mit dem Eingang der schriftlichen Kündigung beim ersten (alten) Krankenversicherer.
Keine Einflussnahme des zweiten Versicherers
Ist das Freigabeverfahren eines PKV-Vertrages eingeleitet und der Antrag zugestellt, ist es dem zweiten (neuen) Versicherer untersagt auf den Kunden hinsichtlich einer Rücknahme Einfluss zu nehmen. Es soll verhindert werden, dass der Kunde zum Spielball der Interessen beider beteiligten Krankenversicherer wird. Sollte sich der zweite (neue) Versicherer dennoch eines Versuchs der unstatthaften Einflussnahme schuldig machen, dann gilt die Rücknahme des Freigabeantrags als nicht erfolgt.
Keine Rechtsgrundlage für die Freigabe eines PKV-Vertrages
Das Freigabeverfahren basiert nur auf den Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft. Es gibt keine Rechtsgrundlage. Da grundsätzlich der (alte) Vorversicherer die Freigabeverhandlungen führen muss, kann nicht ausgeschlossen werden, dass wirtschaftliche Betrachtungen des Vorversicherers eine Rolle spielen.
So könnten Erkrankungen bereits größere Kosten verursacht haben und der Krankenversicherer ist an einer Fortführung des bisherigen Vertragsverhältnisses gar nicht interessiert. Bei einer Kündigung geht es auch um zurückbleibende Alterungsrückstellungen, die sozusagen vererbt werden. Auch das können wirtschaftliche Interessen sein, die einem Freigabeverfahren im Wege stehen.
Auch wenn kein Rechtsanspruch auf ein Freigabeverfahren besteht, wird vom GDV bestätigt, dass die Versicherer sich an die Wettbewerbsrichtlinien halten.
Hilfe von außen:
Bei der Einleitung eines Freigabeverfahrens können Vermittler und Versicherungsberater unterstützen.
Bei Vermittlern gibt es zwei unterschiedliche Typen:
- Versicherungsvertreter Der Vertreter des Vorversicherers hat sicherlich ein Interesse betroffenen Kunden zu helfen, um den Vertrag in seinem Bestand zu behalten.
- Versicherungsmakler Der Makler ist Sachwalter seines Kunden und kann bei einem bestehenden Maklervertrag hinsichtlich des Antrags auf Freigabe wertvolle Tipps geben. Sollte er aber hinsichtlich der Kündigung und des Neuabschlusses bei einem anderen Anbieter maßgeblich beteiligt sein, dann wird hier keine Unterstützung zu erwarten sein.
Versicherungsberater sind Rechtsdienstleister. Sie können das Freigabeverfahren beim Vorversicherer anschieben und den Kunden so unterstützen. Darüber hinaus übernehmen sie auch Überwachungsfunktionen.